2023: Stellungnahme: Eckpunkte zur Biomassestrategie NABIS

17.02.2023 - Stellungnahme - Bioenergie

Stellungnahme: Eckpunkte der Bundesregierung zur Biomassestrategie 

Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung das Ziel gesetzt, eine Nationale Biomassestrategie (NABIS) zu erarbeiten. Hierzu haben die Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz, Ernährung und Landwirtschaft sowie Umwelt, Naturschutz, Nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz ein Eckpunktepapier vorgelegt.

 

Der von Russlands Machthaber Putin ausgelöste verbrecherische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat auch das hiesige bisherige Energieversorgungssystem erschüttert. Die nicht zu verantwortende hohe Abhängigkeit von fossilen Energien, insbesondere von russischem Erdgas, gefährdet nicht nur die heimische Energieversorgungssicherheit, sondern führt auch zu sozial unzumutbaren Preiskrisen.

 

Als eine Lösung für die künftige Energieversorgung bietet sich ein verstärkter Biomasseeinsatz an. Genau diese Chance lassen die von der Bundesregierung vorgelegten Eckpunkte für eine Nationale Biomassenutzung weitgehend ungenutzt.

 

Deshalb fordern der Landesverband Erneuerbare Energien Rheinland-Pfalz/Saarland e.V. (LEE RP/SL) und der Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen e.V. (LEE NRW) die Bedeutung der Bioenergie für das deutsche Energiesystem endlich anzuerkennen und den notwenigen Aus- und Umbau des Anlagenparks voranzutreiben, für eine unabhängige heimische Energieversorgung.


Die unzureichenden Eckpunkte zur Nationalen Biomassestrategie


Die Biomassenutzung hat in der Anwendung Erneuerbarer Energien besondere Bedeutung, denn Biomasse ist speicherbar und kann flexibel zur Stromerzeugung eingesetzt werden, wenn volatile Windkraft und Photovoltaik nur bedingt zur Verfügung stehen. Sie trägt damit in erheblichem Maße zur Versorgungssicherheit und Netzstabilität gerade auf Verteilnetzebene bei. Darüber hinaus erzeugt sie gleichzeitig Wärme, wenn sie in hocheffizienter Kraft-Wärme-Kopplung dezentral zum Einsatz kommt. Sie bahnt der regionalen Wertschöpfung den Weg und ermöglicht die Energie- und Wärmewende auch im Sinne der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am Transformationsprozess hin zu einem klimaneutralen Energiesystem im Jahr 2045.

 

Im Herbst 2022 haben die drei Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz, Landwirtschaft sowie Umwelt die langen erwarteten Eckpunkte für die Nationale Biomassestrategie veröffentlicht. Diese Überlegungen sollen die Basis für die nachhaltige Nutzung von Biomasse aus der Wald-, Landwirt- und Abfallwirtschaft in Zukunft schaffen. Die künftige Biomassenutzung soll sich konsequent an den Klima-, Umwelt- und Biodiversitäts-Zielen orientieren.

 

Das Eckpunktepapier sieht vor, dass nur nachhaltig verfügbare Biomasse-Potenziale genutzt werden, natürliche Ökosysteme sollen erhalten und die Ernährungssicherheit Vorrang erhalten. Wichtigstes Leitprinzip für die künftige Biomassestrategie der Bundesregierung ist die konsequente Kaskaden- und Mehrfachnutzung von Biomasse – d.h., es wird immer der stofflichen Nutzung Vorrang gegeben, die eine möglichst langfristige Kohlenstoffbindung ermöglicht. Erst am Ende dieser Kaskade sollen andere Anwendungen, zum Beispiel im Energie- und Kraftstoffbereich, systemdienlich ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten.

 

In dem vom Bundeswirtschaftsministerium im letzten Frühjahr auf den Weg gebrachten Osterpaket mit zahlreichen energiewirtschaftlichen Gesetzesinitiativen fehlten nachhaltige Wachstumsimpulse für den Energieträger Biomasse. Dieser „Geist“ zieht sich leider auch durch das Eckpunktepapier: Die drei Ministerien haben darauf verzichtet, reichlich vorhandene Biomasse-Potenziale für eine verstärkte energetische Nutzung vorzusehen, und das mitten in einer extremen Energiekrise. Zu den zusätzlichen Potenzialen zählen beispielsweise landwirtschaftliche Reststoffe wie Gülle, Mist, Zwischenfrüchte und Ernterückstände, biogene Reststoffe aus der Braunen/Grünen Tonne, Abfall- und Reststoffe aus der Lebensmittelverarbeitung, Landschaftspflegematerial, Waldrestholz, Altholz oder Klärschlämme. Und nicht nur das: Das Eckpunktepapier lässt erkennen, dass es den Ministerien de facto um eine Begrenzung der energetischen Biomassenutzung geht.

 

Zu kurz gedacht ist dabei auch die ausnahmslose Anwendung des Leitprinzips der Kaskadennutzung. Die Mehrfachnutzung von Biomasse klingt prinzipiell vielversprechend, eine „bindende“ Reihenfolge ist aber nicht immer richtig, zum Beispiel im Energiesektor. So ist es beispielsweise aus vielerlei Gründen nicht richtig, Bioabfälle einzig und allein für die Kompostierung zu nutzen. Ökologisch und ohne Nutzungskonkurrenz ist es hingegen sinnvoll, Bioabfälle im ersten Schritt zu vergären, um Biogas für eine energetische Nutzung zu erzeugen und im nächstens Schritt das Gärprodukt zu kompostieren. Auch ist im Bereich nachwachsender Rohstoffe nachhaltige Flächennutzung durch ökologisch wirksame Energiepflanzen, etwa der durchwachsenen Silphie anzustreben, die zur Biogasgewinnung fermentiert wird und deren Fasern anschließend in die stoffliche Nutzung der Papierindustrie gehen kann. Weiter sollte eine nachhaltige, forstwirtschaftliche Nutzung des Waldes möglich sein. Den Vorrang hat immer die stoffliche Verwertung, aber der Anteil eines gefällten Baumes, der nicht stofflich genutzt werden kann, muss der Energieerzeugung zugeführt werden können, denn dieses Waldrestholz verdrängt dann fossile Brennstoffe wie Heizöl und Erdgas und kann somit den erforderlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Wenn das Waldrestholz vor Ort verbleibt und natürlich verrottet, wird keine CO2-Einsparung realisiert.

 

Zu den weiteren Schwachpunkten der Eckpunkte für die Nationale Biomassestrategie zählt die vollständige Vernachlässigung des Flexibilitätspotenzials, das die Biomasse im Gegensatz zu den anderen Energieträgern auszeichnet. Für eine vollständige Umstellung der Strom- und Wärmeversorgung auf erneuerbare Energien ist genau dieses Flexibilitätspotenzial unverzichtbar und leistet bereits aktuell bundesweit wertvolle Beiträge in diesem netzdienlich so wichtigen Bereich.

 

Großes Potenzial zum Ersatz von russischem Erdgas

Die Eckpunkte der Nationalen Biomassestrategie fassen den Oberbegriff „Biomasse“ viel zu eng, und zwar wird „Biomasse“ vor allem auf tierische und pflanzliche Erzeugnisse reduziert. Biomassenutzung heute muss alle biogenen Reststoffe umfassen. Dazu zählen unter anderem Bioabfälle aus der grünen bzw. braunen Tonne, Abfall- und Reststoffe aus der Lebensmittelverarbeitung, Gülle, Mist, Zwischenfrüchte, Gras von Dauergrünflächen, landwirtschaftliche Nebenerzeugnisse und Aufwuchs von Biodiversitätsflächen, Landschaftspflegematerial, Waldrestholz, Altholz oder auch Klärschlamm. So ergeben sich weitaus größere Potenziale für die energetische Biomassenutzung. Nach wie vor leistet Deutschland sich den Luxus, kostbare Potenziale aus Rest- und Abfallstoffen zur Biogaserzeugung nicht konsequent zu nutzen.

 

Nach Aussage des Fachverbands Biogas e.V. kann die Biogasproduktion in Deutschland ohne eine Ausdehnung der Anbauflächen für Energiepflanzen auf rund 135 bis 235 Milliarden kWh ausgeweitet werden1. Bis zum Jahr 2050 könnten 150 Milliarden kWh Biogas zusätzlich nur auf Basis von Abfällen, Reststoffen, Zwischenfrüchten, Gülle, Mist, Gras von Dauergrünlandflächen und Landwirtschaftlichen Nebenprodukten sowie ökologisch angebauten nachwachsenden Rohstoffen erzeugt werden. Dieses Biogas kann wiederum zur Hälfte zu Biomethan aufbereitet werden und 40 Prozent des russischen Gases bis 2030 ersetzen. Nach Untersuchungen des Deutschen Biomasseforschungszentrums (DBFZ) in Leipzig landet nur ein Drittel von dem, was sich technisch nutzen ließe, tatsächlich in der Biogasanlage – mit anderen Worten eine Ressourcenverschwendung de luxe.

 

Der Transformationsprozess des Energiesystems über alle Sektoren wird nur gelingen und erfolgreich sein, wenn die Vielfalt aller erneuerbaren Energien in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen genutzt wird. Eine ausschließliche Fokussierung auf Wind- und Solarenergie, die Lenkungswirkung auf eine „All-Electric-

Strategie“ entfalten soll, wird den Bedarfsanforderungen in den jeweiligen Sektoren sowie der eines Industrielands nicht gerecht. Eine nachhaltige Nutzung der Biomasse als speicherbare erneuerbare Energieform, die sowohl im Stromsystem eine wesentliche Rolle zum Ausgleich positiver wie negativer Residuallasten spielen muss als auch im Wärmesystem bedarfsgerecht Leistungen und Temperaturniveaus für den Gebäudebestand und die Industrie zur Verfügung stellt, muss Grundsatz des übergeordneten Ziels der Nationalen Biomassestrategie auf fachlicher und wissenschaftlicher Basis sein. Die Konsequenz lautet deshalb: Die vorhandenen Biomasseanlagen sollten so optimiert werden, dass alle möglichen Potenziale genutzt werden können.

 

Einsatzmöglichkeiten von Biomasse

Bezüglich der energetischen Nutzungsbereiche sind geeignete erneuerbare Alternativen zur Biomassenutzung nur bedingt vorhanden. Im Bereich der Stromerzeugung ist es Aufgabe der Biomasse als speicherbare Energieform, die fluktuierenden tragenden Säulen der Erneuerbaren Windenergie und Photovoltaik flexibel auszugleichen. Dies gilt sowohl für die positive Residuallast bei Unterversorgung des Stromsystems durch zu wenig Wind und Sonne im Netz als auch für die negative Residuallast bei Stromüberschuss, der dann in biomassegefeuerten Wärmenetzen mittels Power-to-Heat in Wärmespeichern, Großwärmepumpen, Elektrokesseln oder zur Produktion von grünem Wasserstoff über Elektrolyse zum Einsatz kommen kann. Im Wärmesektor vor allem im Bereich des Wohnens sind durchgängig Alternativen erneuerbarer Energien denkbar, allen voran der Elektrowärmepumpen. Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass viele Gebäude nach Alter, Größe und vorhandenen Heizsystemen nicht für den effizienten Einsatz von Wärmepumpen geeignet sind. Insbesondere in den Kernbereichen von Städten und Gemeinden mit hohen Wärmedichten und höher temperierten Heizsystemen sollten Quartiers-, Nah- und Fernwärmenetze errichtet oder ausgebaut werden, die auf der Grundlage von Biomasse betrieben werden. In diese Wärmenetze sollen zur Reduktion des Biomassebedarfs andere erneuerbare Energien eingekoppelt werden, wie Solarthermie und Geothermie, wenn Flächen bzw. Potenziale hierfür zur Verfügung stehen.

 

Nutzungsmöglichkeiten von Biogasbestandsanlagen

Biogas kann auf zwei Wegen zur Stromerzeugung genutzt werden. Zum einen kann die Biogaserzeugung mit einer Vor-Ort-Verstromung gekoppelt werden. Dabei wird das erzeugte Rohbiogas in einem Gasspeicher gesammelt und mit Hilfe eines Blockheizkraftwerks bedarfsgerecht zu Strom und Wärme umgewandelt. Der Strom wird hierbei direkt ins Stromnetz eingespeist und die Wärme kann in einem Nahwärmenetz genutzt werden.


Die zweite Möglichkeit ist die Aufreinigung des Rohbiogases zu Biomethan. Das Biomethan kann anschließend in das Erdgasnetz eingespeist und vollflexibel und bedarfsgerecht als Äquivalent zum Erdgas in den Sektoren Strom, Wärme und als Kraftstoff zum Einsatz kommen.

 

Diese zwei flexiblen Stromerzeugungsmöglichkeiten machen Biogas unverzichtbar zum Ausgleich für die

fluktuierenden Stromerzeuger Wind und Sonne. Daneben und zukünftig bleibt Biogas als Multitalent ein auch direkt einsetzbarer Energieträger, beispielsweise für den Einsatz als Prozessenergie für Hochtemperaturanwendungen in der Industrie; zur Herstellung von grünen Treibstoffen (Bio-CNG, Bio-LNG, Wasserstoff); in der stofflichen Nutzung3 in der Chemieindustrie/ zur Düngerherstellung/ als CO2- Senke zum Klimaschutz. Die Vorzüge von Biomethan zur Treibhausgasminderung zu nutzen, muss höchste Priorität genießen. Die Europäische Kommission hat sich mit ihrem „REPowerEU“-Plan zum Ziel gesetzt, die Biomethanerzeugung bis 2030 von aktuell 3 auf 35 Mrd. Kubikmeter (bcm) auszuweiten (entspricht etwa 370 Milliarden kWh). Ziel ist es nicht nur, die europäischen Klimaschutzziele zu erreichen, sondern auch die Gasversorgung der EU zu diversifizieren und verstärkt durch heimische Quellen zu decken. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Biomethan-Aktionspläne auszuarbeiten, um ihren Teil zur Erreichung dieses EU-Ziels beizutragen.

 

Deutschland hat mit knapp 10.000 Anlagen (ca. 95 Milliarden kWh Rohgasproduktion) die meisten Biogasanlagen in Europa, von denen jedoch nur rund 250 Anlagen ins Gasnetz einspeisen (Produktion: rund 10 Milliarden kWh Biomethan). Nach DBFZ-Analysen können rund 2.000 der bestehenden Biogasanlagen, die aktuell das Gas noch am Anlagenstandort für die Strom- und Wärmeerzeugung nutzen, allein oder im Verbund mit anderen Anlagen auf die Gaseinspeisung umgerüstet werden. Dadurch könnte die Biogaseinspeisung auf rund 35 Milliarden kWh angehoben werden4. Für einen weiteren Ausbau müssten entweder kleinere Anlagen erweitert werden, damit sie die Mindestschwelle für eine Gasaufbereitung überschreiten, oder neue Anlagen in Betrieb genommen werden.

 

Es gilt, einfache Umsetzungsmechanismen für Biomethan und Einspeisung mittels Rohbiogassammelleitungen und zentraler Einspeisung zu finden. Zudem sollte hier auch eine dezentrale Verortung in der freien Landschaft möglich sein (Nähe zu Bestandsbiogasanlagen). Die Anbindung und Vernetzung bestehender Biogasanlagen über Rohbiogassammelleitungen ermöglicht die zentrale und effiziente Aufbereitung zu Biomethan auch als Nachfolge-Geschäftsmodell für Betreiber/Landwirte nach Auslaufen der EEG-Förderung. Regionale, nachhaltige Energie bleibt somit in der Region erhalten. Die Einspeisung von Biomethan in das Gasnetz ermöglicht die (über-)regionale Nutzung in allen Sektoren (Wärme/Strom/Verkehr) und für alle angebundenen Verbraucher Zudem ist bei der Produktion von Biomethan keine direkte Nähe zu Industrie- und Gewerbegebieten erforderlich. Entscheidend sind dagegen kurze Transportwege bei Reststoff- und Abfallnutzung für die erforderlichen Substrattransporte zu den Biomasseverwertungsanlagen um nachteilige Umwelteffekt zu vermeiden. Die Umrüstung des deutschen Biogasanlagenbestands auf die Gaseinspeisung bietet zusammen mit den noch ungenutzten Biomassepotenziale die große Chance, die Energieversorgung sicherer und ökologischer zu machen. Dies ist aber nur möglich, wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen angepasst werden.

 


Deutsche Technologieführerschaft im Bereich der Biomassenutzung stärken

Die Neuausrichtung der Bestandsbiogasanlagen und ein politisches Bekenntnis zur energetischen Biomassenutzung, ermöglicht auch eine Stärkung der Unternehmen in Deutschland, die noch zu den Technologieführern in der Welt gehören. Es ist der deutsche Anlagenbau der die effizientesten Verfahren und Technologien in dem Bereich der Biomassenutzung entwickelt hat. Die Neuausrichtung und klare Positionierung zur zukünftigen Biomassenutzung, würde einen innovativen Schub in neue Konzepte und Technologien geben.

z.B. Power to Gas: bei der mittels der synthetischen Methanisierung auf biologischem oder katalytischen Wege für die Biomethanerzeugung aus dem im Biogas vorhanden CO2 und aus Elektrolyseuren erzeugtem Wasserstoff einen echten Hebel ermöglichen würde. Dies würde bei einer konsequenten Umsetzung den auf konventionellem Wege angestrebten Biomethananteil nahezu verdoppeln. Diese Zukunftstechnologien (Carbon Capture and Utilization) werden weltweit gefragt sein, deshalb ist ein funktionierender Heimatmarkt essenziell.

 

 

Großer Bedarf an Flexibilität und saisonaler Speicherung: die Antwort heißt Winterbiogas

Die Bioenergie ist der regenerative Energieträger mit der größten Vielfältigkeit im Einsatzspektrum, außerdem ist die Bioenergie speicherbar und ergänzt die fluktuierenden Energieträger Wind und Sonne ideal. Zusätzlich kann durch noch nicht genutzte Biomassepotenziale die zunehmende

Residuallastschwankung ausgeglichen werden. Nicht nur die verfügbare Biomasse weist große Potenzial auf, sondern auch der Anlagenbestand.

 

Das Deutsche Biomasseforschungszentrum (DBFZ) hat durch die Auswertung von Stamm- und Bewegungsdaten der Übertragungsnetzbetreiber gezeigt, dass selbst die Anlagen, die bereits eine Flexibilitätsprämie erhalten haben, meist unzureichend für eine adäquate Systemdienlichkeit flexibilisiert

sind. Wenn nur der bereits flexibilisierte Anlagenbestand ihre installierte Leistung systemdienlich aufstocken würde, könnte die installierte Leistung auf 8.200 Megawatt ausgebaut und damit mehr als verdoppelt werden5.

 

Dieses große Flexibilisierungspotenzial ist vor allem in den Wintermonaten wichtig, da dadurch gezielt fossile Brennstoffe durch die flexible und bedarfsgerechte Erzeugung von Strom und Wärme substituiert werden können. Deswegen wäre eine Betriebsmöglichkeit der Biogasanlagen, ihre Stärke zu nutzen und schwerpunktmäßig in den Wintermonaten eingesetzt zu werden. – Biogas gewinnt als Winterbiogas einen ganz neuen, weitaus höheren Stellenwert für die heimische Energieversorgung und Versorgungssicherheit.

 

Für den schwerpunktmäßigen Einsatz von Bioenergie während der Wintermonate sprechen folgende Fakten:

  • Der Wärmebedarf besteht vor allem in den Wintermonaten
  • Die Einsatzstoffe für die Bioenergie bilden die einzige erneuerbare Energie, die saisonal, also über Monate hinweg und kostengünstig gespeichert werden kann
  • Es kann bedarfsgerecht und flexibel die notwendige Menge Strom und Wärme bereitgestellt werden
  • Biogas kann vielseitig eingesetzt werden. Entweder durch die Vor-Ort-Verstromung mit Wärmebereitstellung oder aufgereinigt zu Biomethan als Erdgassubstitut.
  • Auch der Strombedarf ist in den Wintermonaten tendenziell höher, zudem liefert insbesondere die Photovoltaik in den Wintermonaten aufgrund geringerer Sonnenscheindauer deutlich weniger Strom.



Welche gesetzlichen Änderungen sind für eine vermehrte Winterbiogas-Nutzung notwendig?

Für die Umstellung bestehender Biogasanlagen auf einen schwerpunktmäßigen Winterbetrieb müssen die derzeitigen Genehmigungsregelungen drastisch entschlackt werden. Dazu zählen unter anderem die Genehmigung für eine längere Zwischenlagerung von Gärmaterial, die Verwendung von biogenen Abfällen aus Haushalten und der Lebensmittelverarbeitung sowie Reststoffen aus der Verarbeitung

landwirtschaftlicher Rohstoffe sowie Anpassungen im Bundesimmissionsschutzgesetz und im Wasserrecht. Dafür muss es auf politischer Ebene eine parteiübergreifende Zusammenarbeit geben, um sinnvolle gesetzliche Rahmenbedingungen für die Entfaltung des vollen Biogaspotenzials zu schaffen. Deshalb

fordern die LEE NRW und RLP/SL einen Biomasse-Gipfel, um die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Biogasanlagen zu vereinfachen und zu vereinheitlichen.

 

Im Einzelnen:


1. Ausweitung der Lagermöglichkeiten für Einsatzstoffe und Reststoffe

Dazu muss die Verordnung über Anlagen zum Umgang mit wassergefährdenden Stoffen (AwSV) geändert werden, denn bisher haben Anlagen, die Bioabfälle nutzen, höhere Anforderungen zu erfüllen als Biogasanlagen mit Gärsubstraten landwirtschaftlicher Herkunft, auch wenn kein höheres Wassergefährdungspotential besteht.

 

Um die Verarbeitung von biogenen Abfällen auszuweiten und beispielsweise auch in bestehenden Anlagen umsetzen zu können, sind wasserrechtlich unbedenkliche biogene Abfälle in die in § 1 (8) AwSV genannte

„Positivliste“ aufzunehmen. Klarzustellen ist ferner, dass Gärreste aus Biogasanlagen auch in externen Güllebehältern gelagert werden können, die als Jauche-, Gülle- und Silagesickersaftanlagen (JGS-Anlagen) zur Güllelagerung genehmigt und errichtet wurden und zum Zeitpunkt der Errichtung die baulichen Anforderungen eines JGS-Lagerbehälters erfüllt haben. Für den Nachweis der Eignung der Behälter sollte künftig eine AwSV-Sachverständigenprüfung ausreichen.

 

Zu ändern ist zu diesem Zweck auch die Düngeverordnung (DüngeVO), die generell eine pauschale Gärrestlagerdauer für Biogasanlagen von 9 Monaten festlegt. Von dem pauschalen Ansatz sollte abgewichen werden können, wenn die Biogasanlage nachweisen kann, dass die zur Verfügung stehenden Flächen eine geringere Lagerdauer zulassen (z.B. hoher Grünlandanteil)

 

2. Bessere Bedingungen für Winterbiogas im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG)

Um die Verwendung von Biogas und Biomasse im Winter zu fördern, sollte ein Winterzuschlag von z.B. 2 Cent/kWh im Zeitraum Oktober bis März im EEG verankert werden. Alternativ wäre ein

Investitionsförderprogramm denkbar, mit dem die Betreiber von Biogasanlagen beim Bau der notwendigen Wärmespeicher unterstützt werden.

 

Die geforderte Verweilzeit im gasdichten System von 150 Tagen aus dem EEG und der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) muss verkürzt werden können, denn sie berücksichtigt nicht, dass bei Einsatz von Bioabfällen i.d. Regel deutlich kürzere Verweilzeiten erforderlich sind, da sich diese Stoffe schneller abbauen.


3. Obligatorische Biotonne zur besseren Erfassung des bisher nicht genutzten Biomassepotenzials

Im Kreislaufwirtschaftsgesetz auf Bundesebene und in den entsprechenden Ländergesetzen muss es die Vorgabe geben, dass eine Bioabfalltonne überall obligatorisch eingeführt werden muss. Damit wird das große Potenzial an Bioabfällen, das bisher über die Restmülltonne entsorgt und energieaufwendig in Müllverbrennungsanlage mitverbrannt wird, energetisch nutzbar gemacht.

 

Diese Verpflichtung muss ergänzt werden durch die Vorgabe, dass der eingesammelte Bioabfall zuerst vergoren und erst dann kompostiert wird.

 

4. Baurechtliche Privilegierung von Anlagen zur Aufbereitung von Biogas zu Biomethan

Durch die Aufbereitung von Biogas entsteht Biomethan in Erdgasqualität, das in das Erdgasnetz eingespeist werden kann. Solche Aufbereitungsanlagen, sind ebenso wie die Biogaserzeugungsanlagen baurechtlich im Baugesetzbuch (BauGB) privilegiert.

 

Um den Zusammenschluss von bestehenden Biogasanlagen und deren Umrüstung auf die Gaseinspeisung voranzubringen, sollte für die Errichtung von zentralen Aufbereitungs- und Einspeiseanlagen der bauplanungsrechtliche Privilegierungstatbestand auch gelten, damit die Errichtung derartiger Anlagen nicht neben dem Genehmigungsverfahren noch zusätzlich eine kommunale Ausweisung eines entsprechenden Gebiets erfordert (Ergänzung von § 35 Abs. 1 Nummer 6 BauGB).

 

5. Gleichbehandlung von Biogas und Erdgas in der Störfall-Verordnung

Die Störfall-Verordnung (12. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes

(BImSchV) behandelt Biogas deutlich restriktiver als Erdgas. Im Vergleich zum Schwellenwert bei Biogas von 10.000 kg beträgt der Schwellenwert bei Erdgas 50.000 kg, obwohl im Biogasbereich deutlich geringere Betriebsdrücke von wenigen Millibar und eine geringere Energiedichte vorliegt. Hier ist zumindest eine Gleichbehandlung von Biogas zu Erdgas, also Anhebung auf 50.000 kg geboten.

 

Der bisherige Schwellenwert von 10.000 kg für Biogas ist schon bei Anlagen im kleinen Leistungsbereich sehr schnell erreicht, wenn aufgrund von vermehrten Einsatzstoffen mit niedriger Energiedichte (z.B. Gülle und Mist) und der erforderlichen langen Lagerdauer große gasdichte Gärrestlager erforderlich werden. So kann bereits eine Biogasanlage im Leistungsbereich von 150 kW elektrisch in den Anwendungsbereich der Störfall-VO fallen, was mit einem ungerechtfertigten höheren technischen und organisatorischen Aufwand verbunden ist und Biogas gegenüber Erdgas eklatant benachteiligt.

 

6. Gleichberechtigung von Biomasse zu anderen erneuerbaren Wärmeerzeugungstechniken

Mit Fokus auf Fehlanreize sind im Wärmesektor als dominierendem Bereich der Energiewende die bereits geschaffenen Förderinstrumente wie etwa die Bundesförderung für effiziente Gebäude (BEG) und die Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) bezüglich der Biomassenutzung zu erhalten und ggf. zu stärken. Eine Benachteiligung der Biomasseförderung gegenüber anderen erneuerbaren Wärmeerzeugungstechniken ist vor dem Hintergrund, dass Deutschland das holzreichste Land der europäischen Union ist, nicht akzeptabel. Wie das Thünen-Institut für Waldökosysteme im Rahmen der Kohlenstoffinventur 2017 festgestellt hat, sind jährlich 117,4 Mio. m³ Holz nachgewachsen, von denen durch Holzeinschlag oder natürliche Ursachen 75 Prozent entnommen worden sind. Mithin hat sich der Bestand um 25 Prozent pro Jahr vermehrt6. Gleichwohl sind Fehlanreize zu beseitigen bzw. Förderinstrumente anzupassen, etwa mit Bindung der Förderzusage an die Installation von Staubfiltern im Abgasstrom von Biomassefeuerungen.

 

Statt die Nutzung von Holz einzuschränken, müsste sie aus nachhaltiger deutscher Forstwirtschaft erhöht werden, wie dies auch die Zahlen des Thünen-Instituts verdeutlichen. Aufgrund des Klimawandels und des gesellschaftlichen Wunsches, mehr Laubholzbestände zu begründen, wird mehr nichtindustriell verwertbares Holz anfallen. Dieses dann der natürlichen Verrottung zu überlassen, ist für den Klimaschutz kontraproduktiv, weil dann CO2 ungenutzt bei der Verrottung freigesetzt wird. Regional genutztes Holz aus deutscher nachhaltiger Forstwirtschaft leistet einen sehr großen Beitrag zum Klima- und Naturschutz, weil es große Mengen von fossilem CO2 substituiert und völlig unnötige globale Transporte vermeidet. Dies ist ein elementarer Beitrag zum globalen Klima- und Naturschutz, weil dadurch zumindest ein weiterer Temperaturanstieg gehemmt werden kann. Es gilt, den globalen Nutzungsdruck auf nicht nachhaltig gewonnenes zu Holz reduzieren, statt ihn durch Nutzungsbeschränkungen bei uns zu erhöhen. Ein

nationales Stoffstrommanagement Holz, das gemeinsam mit den Waldbesitzern erarbeitet und umgesetzt werden muss, ist zu etablieren.

 

Zusammenfassung

Der LEE NRW und RLP/SL verbinden mit Fokus auf Maßnahmen und Umsetzung der Biomassestrategie die Erwartungshaltung an die Bundesregierung zu einer klaren Positionierung für eine nachhaltige Biomassenutzung zur Erreichung des Klimaschutzziels 2045. Dieses Ziel steht in einem engen Zusammenhang mit der Rolle der Biomassenutzung für ihre systemischen Eigenschaften im Bereich der

Stromversorgung als Ausgleichssystem der volatilen Wind- und Photovoltaikstromerzeugung. Es ist im Rahmen dieser Stellungnahme dargelegt worden, dass Biomasseanlagen positive Residuallastfunktionen direkt erfüllen und für negative Residuallasten Systeme integrieren können, die diese über Power-to-Heat ausgleichen. Je dezentraler die Biomasse in Mehrfachnutzung etwa in Kraft- Wärme-Kopplung in Verbindung mit Nah- oder Fernwärmenetzen zum Einsatz kommt, desto systemdienlicher kann sie ihre Fähigkeiten zur Stabilität der Verteilnetzebene entfalten. Weiter ist in der Stellungnahme die hohe Bedeutung einer nachhaltigen Biomassenutzung dargestellt worden. Zur Transformierung des zukünftigen Energiesystems, muss die Stärke der Bioenergie vollumfänglich ausgenutzt und die kostbaren Biomassepotenziale aus Rest – und Abfallstoffen gehoben werden. Durch die Vielfältigkeit der Bioenergie gibt es eine Vielzahl systemdienlicher Einsatzmöglichkeiten, die unterstützt werden müssen. Zum einen, die dezentrale, saisonal angepasst und flexible Strom- und Wärmeversorgung. Hier ist zu beachten, dass die Bürgerinnen und Bürger, die Kommunen, Gewerbetreibende, die Industrie und die Erneuerbaren-Energien-Branche haben parallel zum Inkrafttreten des ersten EEG im Jahr 2000 seit über 20 Jahren in den Auf- und Ausbau der Biomassenutzung investiert. Sie haben fossile Kessel auf Holzpellets umgestellt, Nahwärmenetze in Quartieren, Neubaugebieten und Bioenergiedörfern gebaut, Gewerbegebäude und Industrieprozesse auf Hackschnitzelbasis erneuerbar aufgestellt und leisten Jahr für Jahr sehr große Beiträge zum Klimaschutz durch Reduktion der CO2-Emissionen fossiler Brennstoffe. Sie vertrauen darauf, dass die Politik der Bundesregierung ihnen mit der nationalen Biomassestrategie zuverlässige Rahmenbedingungen gibt, die eine nachhaltige Biomassenutzung langfristig ermöglicht.

 

Zusätzlich kann die Biomasse auch direkt als Energieträger für Hochtemperaturprozesse eingesetzt oder in der chemischen Industrie stofflich genutzt werden. Diese Vielzahl an Einsatzmöglichkeiten muss in der

nationalen Biomassestrategie sinnvoll mitgedacht und berücksichtigt werden, damit Deutschland auch in Zukunft eine Industrienation bleibt.


Für Rückfragen oder einen weiteren inhaltlichen Austausch zu diesem Thema stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.


gez. Christian Mildenberger (Geschäftsführer LEE NRW)

        Christoph Zeis (Vorsitzender LEE RLP/SL)


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